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Als das Schloss auf dem Großen Stiefel schon lange verlassen lag und nur die Eulen und Fledermäuse in seinen leeren Hallen wohnten, kam irgendwoher aus der Ferne ein Ritter in das Land. Das alte Felsennest auf dem steilen Berge und mitten in dem großen, dunklen Walde war ihm gerade recht; denn er lebte vom Stegreif. Bald war er gefürchtet, als einer der wildesten und gefährlichsten Räuber. Die Kaufleute machten lieber einer großen Umweg, statt die Straßen zu benützen, welche in der Nähe des Stiefler Schlosses durch den Wald führen. Wie der Ritter eigentlich hieß, wusste niemand. die Leute nannten ihn den Reppert. Bald erfüllte er die ganze Saargegend mit Schrecken; denn er tauchte unvermutet bald hier, bald dort im Lande auf, sodass man sich seiner nirgends versehen konnte.
Eines
Tages überfiel der Reppert ein schönes Mädchen aus dem Dorfe Scheidt, als es
gegen Abend eine Kapelle besuchte, die einsam auf der Höhe lag. Er hob es auf
sein Pferd und hielt es fest. Damit es nicht schreien konnte, stopfte er ihm
einen Knebel in den Mund. Als es dunkel wurde, ritt er mit seiner Beute auf
Schleichwegen, wo ihm niemand begegnete, nach dem Stiefler Schloss zurück. Er
brachte die Maid in die Gemächer, wo einst die Frauen der Burgherren gewohnt
hatten, und gab ihr da alle Freiheit. Tat ihr auch nichts zu Leide. Doch ließ
er sie durch seine Burgleute streng bewachen, sodass sie auf keine Weise
entfliehen konnte. In Scheidt aber wussten die Leute nicht, wohin das Mädchen
gekommen sei. An den Reppert, der sonst nur Geld oder Geldeswert zu rauben
pflegte, dachte kein Mensch.
Die
arme Jungfrau weinte zuerst bitterlich. Dann aber, als der Reppert ihr nicht nur
alle Ehre erwies, sondern ihr sogar ritterlich den Hof machte, beruhigte sie
sich allmählich, und schließlich wurde sie des Raubritters Weib. Sie gewann
einen großen Einfluss auf ihn. Der rauhe, finstere Mann, dem der Galgen drohte,
wenn man ihn erwischte, wurde heiter und freundlich, so oft er bei seinem schönen
jungen Weibe saß. Bei ihr vergaß er, dass sein Leben längst verwirkt war
durch die vielen Schandtaten, die er auf dem Kerbholz hatte, und es war beinahe
etwas wie das Glück, wenn die beiden an den langen Winterabenden auf ihrem
einsamen Waldschlosse am Kaminfeuer saßen und einander ihre Schwermut
vertrieben. Oft redete der Reppert mit seinem Weibe darüber, dass es seine größte
Hoffnung wäre, einen Sohn zu bekommen. Wenn er auch selber verloren sei, und es
irgendeinmal mit ihm ein schlimmes Ende nehmen müsse, so wollte er doch dafür
sorgen, dass aus dem Sohn ein unbescholtener Rittersmann werde, der den Namen,
welchen er selber geschändet habe, wieder zu altem Glanze brächte.
Nun
schenkte ihnen der Himmel eines Tages ein Kindlein, aber es war ein Mädchen.
Das konnte der Reppert nicht verwinden. Er geriet außer sich vor Ärger und
Enttäuschung. So oft er das kleine Wesen ansah, packte ihn die Wut, und toll,
wie er war, erwürgte er das Kind vier Wochen nach der Geburt. Die arme Mutter
klagte lange um ihren Liebling. Sie sprach kein Wort mehr mit dem unmenschlichen
Manne, der ihr das Liebste genommen hatte, was sie in ihrer Einsamkeit zu trösten
vermochte.
Als
das Kind nicht mehr da war, bereute der Ritter seine Tat. Er bat seine Frau
bitterlich um Verzeihung. Wenn sie ihn abwies, ging er still hinaus wie ein
schuldbewusster Mensch, doch am nächsten Tage kam er wieder und flehte sie an,
ihm zu vergeben. Und sie vergab ihm. Sie sagte sich, dass er zwar ein
verworfener und verlorener Mann sei, dass ihn aber schließlich doch jemand lieb
haben müsse, wenn es nicht noch schlimmer werden sollte, und wer könnte das
anders sein als sie, die sie nun einmal sein Weib geworden war.
Nach
einigen Jahren bekamen sie abermals ein Kleines, und es war wieder ein Mägdlein.
Da kante die Verzweiflung und Wut des entsetzlichen Mannes keine Grenzen. So
sehr die unglückliche Mutter das Kind auch vor seinen Augen zu verbergen
wusste, eines Tages lag es erwürgt in der Wiege. Nun gab die arme Frau alle
Hoffnung auf, aus ihrem teuflischen Gatten jemals einen besseren Menschen zu
machen, und sie sann und trachtete, wie sie ihm für immer entfliehen könnte.
Er aber, da er es merkte, wie sie nichts mehr von ihm wissen wollte, ließ sie
noch schärfer bewachen als bisher und bedrohte die Wächter mit dem Tode, wenn
sie sie entweichen ließen. Als er sah, dass es ihn die Liebe seines Weibes
gekostet hatte, bereute er sein Verbrechen bitterlich. Gram und Sehnsucht
bleichtem ihm das Haar. Der Mann konnte nicht mehr leben, ohne an seinem reinen,
gottergebenen Weibe einen Menschen zu haben, der ihm gut war. Ein Jahr gingen
die beiden wie Fremdlinge nebeneinander her. Die Frau konnte kein Vertrauen mehr
zu ihm fassen. Sie vermied es, das Wort an ihn zu richten oder ihm sonst zu
begegnen. Der Ritter wurde kränklich. Wie seine Kräfte abnahmen, wurden auch
seine Übeltaten auf den Straßen seltener und weniger blutig als früher, da er
noch in Kraft und Gesundheit strotzte. Als die Frau sah, wie ihr gottverlassener
Mann an Leib und Seele zu leiden begann, jammerte sie der verlorene Mensch so
tief, dass sie sich seiner erbarmte und ihm wieder gut wurde.
Sobald
er sich von seinem Weibe geliebt sah, erholte sich der niedergebrochene Räuber,
fasste Mut zu neuen Untaten, und mit seiner Gesundheit kehrte auch seine
Wildheit und Grausamkeit zurück. Nun, da er älter wurde, brannte er darauf,
dass ihm sein Weib ein Söhnchen schenke, damit der Traum seines verlorenen
Lebens sich erfüllen könne, ehe ihm das Alter oder der Galgen das Ende setzte.
Da schenkte ihnen im siebenten Jahre ihrer Ehe der liebe Gott noch einmal ein
Kindlein, und es war auch diesmal ein Mädchen. In einem Wutanfall, der so
schrecklich war, dass das Gesinde vor ihm in die Keller flüchtete, und der ihn
selber aufs Krankenlager warf, erwürgte er auch das dritte Kind.
Als
sein Weib die Tat sah, wurde es starr vor Entsetzen. Sie schien die Sprache
verloren zu haben und den Hungertod einem Zusammenleben mit solch einem Scheusal
vorzuziehen. Sie schloss sich in ein entferntes Turmgemach ein und nahm nicht
Speise noch Trank. Das Gesinde berichtete ihr, durch die Tür redend, die sie
nicht öffnen wollte, dass der Reppert krank wäre und in einem fort nach ihr
rufe; dass erglaube, sterben zu müssen. Das arme Weib vernahm wohl die Worte,
aber ihr eigener Jammer war so groß, dass sie gar nicht darauf achtete, was
gesprochen wurde. Dann, mitten in der Nacht, hörte sie auf dem Gang vor ihrem
Zimmer sonderbare Geräusche. Es kratzte dort etwas auf den Fliesen herum, und
dabei war ein Gewinsel wie von einem kranken Hunde. Als die Frau durch die Türspalte
lugte, was das wäre, lag da auf dem Boden ihr Mann, von schwerer Krankheit
befallen. Er hatte sich auf allen Vieren hergeschleppt. Seine Glieder zitterten,
Schaum stand ihm auf dem Munde, und er brachte nur flüsternd unverständliche
Worte heraus. Endlich verstand sie, was er von ihr wollte.
Er
bat sie, um Gottes willen nach dem Ort St. Johann hinunter zu gehen, wo sie
niemand kannte, und ihm eine bestimmte Arznei zu besorgen, die seine Krämpfe
lindern würde. Wie es den Mann so krank sah, den es doch auch lieb gehabt
hatte, erbarmte sich das Weib seiner. Sie brachte ihn nach seinem Lager, nahm
das Rezept, welches er ihr gab, und machte sich, als es Tag wurde, auf den Weg.
Als
sie nach St. Johann kam, das unter dem Walde im Tale liegt, trat sie in die
Kirche, warf sich vor dem Altare auf die Knie und betete inbrünstig zu Gott.
Das bemerkte der Geistliche, der gerade aus der Sakristei kam. Er nahm sich des
verzweifelten Weibes an. Auf seine Frage und Ermahnungen erzählte sie ihm ihr
ganzes Schicksal. Da sagte der geistliche Herr, dass sie ausersehen sei, das
Land von der Plage des gefürchteten Räubers zu erlösen. Statt der Arznei
brachte er ihr einen Schlaftrunk, der den Räuber in tiefe Bewusstlosigkeit
versenken würde. Dann würde man ihn ausheben und richten. Wohl sträubte sie
sich etwas im Herzen der Frau gegen dieses Ansinnen, wenn sie’s aber recht überlegte,
musste sie dem Pfarrherrn recht geben. Denn die blutigen Taten des Reppert
forderten, dass man ihn vor den Richter stelle. Nachdem der Pfarrer ihr sein
Wort gegeben hatte, dass der Trunk nur ein Betäubungsmittel und kein Gift sei,
trat sie den Rückweg auf das Stiefler Schloss an.
Sie
traf ihren Mann in hitzigem Fieber. Ruhelos warf er sich auf seiner Bettstatt
hin und her. Für einen Augenblick erkannte er sie und dankte ihr für die
Hilfe. Dabei leuchtete durch sein verwüstetes und von der Krankheit verzerrtes
Gesicht noch einmal der herzliche Ausdruck, den sie in den besten Jahren ihrer
Ehe an ihm gesehen hatte, als sie noch hoffte, einen guten Menschen aus ihm zu
machen. Die Knie fingen an zu zittern, wie sie nun einen Becher mit Wasser füllte
und die Arznei hineingoss, die doch ein Schlafmittel war und ihn dem Richter
ausliefern sollte. Ehe ertrank, reichte er ihr seine glühende Hand. Obwohl es
eine Mörderhand war, drückte sie das Weib, und die Tränen brachen ihr aus den
Augen. Der Fiebernde bemerkte es aber nicht, denn er setzte jetzt, wobei sie ihm
helfen musste, den Becher an den Mund und leerte ihn mit einem hastigen Zuge.
Noch ehe er das Trinkgefäß zurückreichen konnte, sank er bewusstlos auf sein
Lager. Da strich sie ihm mit liebkosender Hand das Haar aus den Augen, das ihm
von der Stirne hing, und küsste diese Stirn, die schon dem Henker gehörte, mit
einem flüchtigen Abschiedskuss. Dann eilte sie in den Hof, das Haus des Leidens
für immer zu verlassen. Dort bemerkte sie, dass alle Türen, auch die Ställe
und das Burgtor, geöffnet waren. Das Gesinde, die Überrumpelung des Raubnestes
ahnend, war mit Pferden und Hunden auf Nimmerwiedersehen geflüchtet. Der ohnmächtige
Burgherr lag mutterseelenallein allein in seinem weit geöffneten Schlosse. Wie
sie die Burg verließ, sah sie schon auf dem Wege von St. Johann her ein Fähnlein
Berittener kommen, und aus dem Tale marschierten an hundert Bewaffnete, um das
Nest des Reppert, den man nun nicht mehr zu fürchten brauchte, auszuheben. Wie
im Traume einherwandelnd erreichte die Frau des Raubritters nach vielen Stunden
ihren Heimatort.
Ihre
Eltern waren gestorben. Als sie sich den Leuten zu erkennen gab, wollten sie es
nicht glauben. In dieser bleichen, vom Gram verzehrten und gealterten Frau mit
den ergrauenden Haaren, wollte niemand das bildschöne Mädchen wiedererkennen,
das erst vor sieben Jahren verschwunden war und kaum mehr als dreiundzwanzig
Jahre zählen konnte.
Schließlich
fand sie aber doch in dem Häuschen, das die Eltern hinterlassen hatten ein
Heim, wo sie arbeiten, beten und nachdenken konnte. Der Reppert wurde gehenkt.
Quelle: August Diehl: Saarlandsagen. Ein deutsches Volksbuch für Jung und Alt. Würzburg: Amend 1934, S. 37 - 41
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Last update: 27.12.2004