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10. Der Reppert und sein Weib

Als das Schloss auf dem Großen Stiefel schon lange verlassen lag und nur die Eulen und Fledermäuse in seinen leeren Hallen wohnten, kam irgendwoher aus der Ferne ein Ritter in das Land. Das alte Felsennest auf dem steilen Berge und mitten in dem großen, dunklen Walde war ihm gerade recht; denn er lebte vom Stegreif. Bald war er gefürchtet, als einer der wildesten und gefährlichsten Räuber. Die Kaufleute machten lieber einer großen Umweg, statt die Straßen zu benützen, welche in der Nähe des Stiefler Schlosses durch den Wald führen. Wie der Ritter eigentlich hieß, wusste niemand. die Leute nannten ihn den Reppert. Bald erfüllte er die ganze Saargegend mit Schrecken; denn er tauchte unvermutet bald hier, bald dort im Lande auf, sodass man sich seiner nirgends versehen konnte.

Eines Tages überfiel der Reppert ein schönes Mädchen aus dem Dorfe Scheidt, als es gegen Abend eine Kapelle besuchte, die einsam auf der Höhe lag. Er hob es auf sein Pferd und hielt es fest. Damit es nicht schreien konnte, stopfte er ihm einen Knebel in den Mund. Als es dunkel wurde, ritt er mit seiner Beute auf Schleichwegen, wo ihm niemand begegnete, nach dem Stiefler Schloss zurück. Er brachte die Maid in die Gemächer, wo einst die Frauen der Burgherren gewohnt hatten, und gab ihr da alle Freiheit. Tat ihr auch nichts zu Leide. Doch ließ er sie durch seine Burgleute streng bewachen, sodass sie auf keine Weise entfliehen konnte. In Scheidt aber wussten die Leute nicht, wohin das Mädchen gekommen sei. An den Reppert, der sonst nur Geld oder Geldeswert zu rauben pflegte, dachte kein Mensch.

Die arme Jungfrau weinte zuerst bitterlich. Dann aber, als der Reppert ihr nicht nur alle Ehre erwies, sondern ihr sogar ritterlich den Hof machte, beruhigte sie sich allmählich, und schließlich wurde sie des Raubritters Weib. Sie gewann einen großen Einfluss auf ihn. Der rauhe, finstere Mann, dem der Galgen drohte, wenn man ihn erwischte, wurde heiter und freundlich, so oft er bei seinem schönen jungen Weibe saß. Bei ihr vergaß er, dass sein Leben längst verwirkt war durch die vielen Schandtaten, die er auf dem Kerbholz hatte, und es war beinahe etwas wie das Glück, wenn die beiden an den langen Winterabenden auf ihrem einsamen Waldschlosse am Kaminfeuer saßen und einander ihre Schwermut vertrieben. Oft redete der Reppert mit seinem Weibe darüber, dass es seine größte Hoffnung wäre, einen Sohn zu bekommen. Wenn er auch selber verloren sei, und es irgendeinmal mit ihm ein schlimmes Ende nehmen müsse, so wollte er doch dafür sorgen, dass aus dem Sohn ein unbescholtener Rittersmann werde, der den Namen, welchen er selber geschändet habe, wieder zu altem Glanze brächte.

Nun schenkte ihnen der Himmel eines Tages ein Kindlein, aber es war ein Mädchen. Das konnte der Reppert nicht verwinden. Er geriet außer sich vor Ärger und Enttäuschung. So oft er das kleine Wesen ansah, packte ihn die Wut, und toll, wie er war, erwürgte er das Kind vier Wochen nach der Geburt. Die arme Mutter klagte lange um ihren Liebling. Sie sprach kein Wort mehr mit dem unmenschlichen Manne, der ihr das Liebste genommen hatte, was sie in ihrer Einsamkeit zu trösten vermochte.

Als das Kind nicht mehr da war, bereute der Ritter seine Tat. Er bat seine Frau bitterlich um Verzeihung. Wenn sie ihn abwies, ging er still hinaus wie ein schuldbewusster Mensch, doch am nächsten Tage kam er wieder und flehte sie an, ihm zu vergeben. Und sie vergab ihm. Sie sagte sich, dass er zwar ein verworfener und verlorener Mann sei, dass ihn aber schließlich doch jemand lieb haben müsse, wenn es nicht noch schlimmer werden sollte, und wer könnte das anders sein als sie, die sie nun einmal sein Weib geworden war.

Nach einigen Jahren bekamen sie abermals ein Kleines, und es war wieder ein Mägdlein. Da kante die Verzweiflung und Wut des entsetzlichen Mannes keine Grenzen. So sehr die unglückliche Mutter das Kind auch vor seinen Augen zu verbergen wusste, eines Tages lag es erwürgt in der Wiege. Nun gab die arme Frau alle Hoffnung auf, aus ihrem teuflischen Gatten jemals einen besseren Menschen zu machen, und sie sann und trachtete, wie sie ihm für immer entfliehen könnte. Er aber, da er es merkte, wie sie nichts mehr von ihm wissen wollte, ließ sie noch schärfer bewachen als bisher und bedrohte die Wächter mit dem Tode, wenn sie sie entweichen ließen. Als er sah, dass es ihn die Liebe seines Weibes gekostet hatte, bereute er sein Verbrechen bitterlich. Gram und Sehnsucht bleichtem ihm das Haar. Der Mann konnte nicht mehr leben, ohne an seinem reinen, gottergebenen Weibe einen Menschen zu haben, der ihm gut war. Ein Jahr gingen die beiden wie Fremdlinge nebeneinander her. Die Frau konnte kein Vertrauen mehr zu ihm fassen. Sie vermied es, das Wort an ihn zu richten oder ihm sonst zu begegnen. Der Ritter wurde kränklich. Wie seine Kräfte abnahmen, wurden auch seine Übeltaten auf den Straßen seltener und weniger blutig als früher, da er noch in Kraft und Gesundheit strotzte. Als die Frau sah, wie ihr gottverlassener Mann an Leib und Seele zu leiden begann, jammerte sie der verlorene Mensch so tief, dass sie sich seiner erbarmte und ihm wieder gut wurde.

Sobald er sich von seinem Weibe geliebt sah, erholte sich der niedergebrochene Räuber, fasste Mut zu neuen Untaten, und mit seiner Gesundheit kehrte auch seine Wildheit und Grausamkeit zurück. Nun, da er älter wurde, brannte er darauf, dass ihm sein Weib ein Söhnchen schenke, damit der Traum seines verlorenen Lebens sich erfüllen könne, ehe ihm das Alter oder der Galgen das Ende setzte. Da schenkte ihnen im siebenten Jahre ihrer Ehe der liebe Gott noch einmal ein Kindlein, und es war auch diesmal ein Mädchen. In einem Wutanfall, der so schrecklich war, dass das Gesinde vor ihm in die Keller flüchtete, und der ihn selber aufs Krankenlager warf, erwürgte er auch das dritte Kind.

Als sein Weib die Tat sah, wurde es starr vor Entsetzen. Sie schien die Sprache verloren zu haben und den Hungertod einem Zusammenleben mit solch einem Scheusal vorzuziehen. Sie schloss sich in ein entferntes Turmgemach ein und nahm nicht Speise noch Trank. Das Gesinde berichtete ihr, durch die Tür redend, die sie nicht öffnen wollte, dass der Reppert krank wäre und in einem fort nach ihr rufe; dass erglaube, sterben zu müssen. Das arme Weib vernahm wohl die Worte, aber ihr eigener Jammer war so groß, dass sie gar nicht darauf achtete, was gesprochen wurde. Dann, mitten in der Nacht, hörte sie auf dem Gang vor ihrem Zimmer sonderbare Geräusche. Es kratzte dort etwas auf den Fliesen herum, und dabei war ein Gewinsel wie von einem kranken Hunde. Als die Frau durch die Türspalte lugte, was das wäre, lag da auf dem Boden ihr Mann, von schwerer Krankheit befallen. Er hatte sich auf allen Vieren hergeschleppt. Seine Glieder zitterten, Schaum stand ihm auf dem Munde, und er brachte nur flüsternd unverständliche Worte heraus. Endlich verstand sie, was er von ihr wollte.

Er bat sie, um Gottes willen nach dem Ort St. Johann hinunter zu gehen, wo sie niemand kannte, und ihm eine bestimmte Arznei zu besorgen, die seine Krämpfe lindern würde. Wie es den Mann so krank sah, den es doch auch lieb gehabt hatte, erbarmte sich das Weib seiner. Sie brachte ihn nach seinem Lager, nahm das Rezept, welches er ihr gab, und machte sich, als es Tag wurde, auf den Weg.

Als sie nach St. Johann kam, das unter dem Walde im Tale liegt, trat sie in die Kirche, warf sich vor dem Altare auf die Knie und betete inbrünstig zu Gott. Das bemerkte der Geistliche, der gerade aus der Sakristei kam. Er nahm sich des verzweifelten Weibes an. Auf seine Frage und Ermahnungen erzählte sie ihm ihr ganzes Schicksal. Da sagte der geistliche Herr, dass sie ausersehen sei, das Land von der Plage des gefürchteten Räubers zu erlösen. Statt der Arznei brachte er ihr einen Schlaftrunk, der den Räuber in tiefe Bewusstlosigkeit versenken würde. Dann würde man ihn ausheben und richten. Wohl sträubte sie sich etwas im Herzen der Frau gegen dieses Ansinnen, wenn sie’s aber recht überlegte, musste sie dem Pfarrherrn recht geben. Denn die blutigen Taten des Reppert forderten, dass man ihn vor den Richter stelle. Nachdem der Pfarrer ihr sein Wort gegeben hatte, dass der Trunk nur ein Betäubungsmittel und kein Gift sei, trat sie den Rückweg auf das Stiefler Schloss an.

Sie traf ihren Mann in hitzigem Fieber. Ruhelos warf er sich auf seiner Bettstatt hin und her. Für einen Augenblick erkannte er sie und dankte ihr für die Hilfe. Dabei leuchtete durch sein verwüstetes und von der Krankheit verzerrtes Gesicht noch einmal der herzliche Ausdruck, den sie in den besten Jahren ihrer Ehe an ihm gesehen hatte, als sie noch hoffte, einen guten Menschen aus ihm zu machen. Die Knie fingen an zu zittern, wie sie nun einen Becher mit Wasser füllte und die Arznei hineingoss, die doch ein Schlafmittel war und ihn dem Richter ausliefern sollte. Ehe ertrank, reichte er ihr seine glühende Hand. Obwohl es eine Mörderhand war, drückte sie das Weib, und die Tränen brachen ihr aus den Augen. Der Fiebernde bemerkte es aber nicht, denn er setzte jetzt, wobei sie ihm helfen musste, den Becher an den Mund und leerte ihn mit einem hastigen Zuge. Noch ehe er das Trinkgefäß zurückreichen konnte, sank er bewusstlos auf sein Lager. Da strich sie ihm mit liebkosender Hand das Haar aus den Augen, das ihm von der Stirne hing, und küsste diese Stirn, die schon dem Henker gehörte, mit einem flüchtigen Abschiedskuss. Dann eilte sie in den Hof, das Haus des Leidens für immer zu verlassen. Dort bemerkte sie, dass alle Türen, auch die Ställe und das Burgtor, geöffnet waren. Das Gesinde, die Überrumpelung des Raubnestes ahnend, war mit Pferden und Hunden auf Nimmerwiedersehen geflüchtet. Der ohnmächtige Burgherr lag mutterseelenallein allein in seinem weit geöffneten Schlosse. Wie sie die Burg verließ, sah sie schon auf dem Wege von St. Johann her ein Fähnlein Berittener kommen, und aus dem Tale marschierten an hundert Bewaffnete, um das Nest des Reppert, den man nun nicht mehr zu fürchten brauchte, auszuheben. Wie im Traume einherwandelnd erreichte die Frau des Raubritters nach vielen Stunden ihren Heimatort.

Ihre Eltern waren gestorben. Als sie sich den Leuten zu erkennen gab, wollten sie es nicht glauben. In dieser bleichen, vom Gram verzehrten und gealterten Frau mit den ergrauenden Haaren, wollte niemand das bildschöne Mädchen wiedererkennen, das erst vor sieben Jahren verschwunden war und kaum mehr als dreiundzwanzig Jahre zählen konnte.

Schließlich fand sie aber doch in dem Häuschen, das die Eltern hinterlassen hatten ein Heim, wo sie arbeiten, beten und nachdenken konnte. Der Reppert wurde gehenkt.


Quelle: August Diehl: Saarlandsagen. Ein deutsches Volksbuch für Jung und Alt. Würzburg: Amend 1934, S. 37 - 41


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Last update: 27.12.2004