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Extra-Info: Die Auswanderung aus dem Königreich Baiern im 19. Jahrhundert


Das Königreich Baiern war seit 1815 Bestandteil des Deutschen Bundes, eines lockeren Staatenbundes mit 35 souveränen Einzelstaaten und 4 Reichsstädten. Sitz des Deutschen Bundestages, des einzigen gemeinsamen Gremiums, war Frankfurt am Main.

Im Deutschen Bund bestanden im 19. Jahrhundert viele Auswanderungsverbote, was die Auswanderung aus dem Bundesgebiet betraf. Aber es gab keinerlei Beschränkungen bei Auswanderungen in einen anderen deutschen Bundesstaat; es war lediglich ein Aufnahmenachweis erforderlich.

Für die Rheinpfalz galt die am 17. Juni 1816 erlassene Verordnung, die Auswanderungen betreffend, mit der Auswanderung grundsätzlich verboten, aber Ausnahmen zugelassen wurden.

Die Auswanderung von einem Staat des Deutschen Bundes in ein Land außerhalb des Bundesgebietes wurde seit den 1840er Jahren insgesamt liberaler gehandhabt als vorher, doch galten nach wie vor die bisherigen Voraussetzungen, die ein Auswanderungswilliger zu erfüllen hatte:

Ein besonderes Problem waren von Anfang die heimlichen Auswanderungen, deren Zahl im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit jeder neuen gesetzlichen Regelung zugenommen hatte.

In Baiern galt die oben ansprochene Liberalisierung der Auswanderungspraxis allerdings erst seit 1868, nachdem der vorherige "Verordnungswahn" nicht den gewünschten Erfolg erzielt hatte..

Die Tatsache, daß sich Deutschland erst spät (1871) zu einem Nationalstaat entwickelt hat, hat lange Zeit eine gemeinsame Auswanderungsregelung für die deutschen Staaten verhindert. Im Prinzip hatte jedes Territorium seine eigene Auswanderungsgesetzgebung, die mal rigider, mal liberaler ausgelegt war. Erst nach der Entscheidung über die Vorherrschaft in Deutschland zugunsten Preußens im Jahr 1866 und nach der damit zusammenhängenden Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr darauf kam ein bißchen Bewegung in die Sache. Im Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 wird die Freizügigkeit aller Bundesangehörigen garantiert - und zwar innerhalb des Bundesgebiets. Im § 1 des Gesetzes heißt es:

  Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes:
  1. an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen im Stande ist;
  2. an jedem Orte Grundeigenthum aller Art zu werben;
  3. umherziehend oder an dem Orte des Aufenthalts, beziehungsweise der Niederlassung, Gewerbe aller Art zu betreiben, unter den für Einheimische geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

Allerdings betraf dieses Gesetz nur die Freizügigkeit innerhalb des Gebiet des Norddeutschen Bundes, nicht aber die Auswanderung aus dem Bundesgebiet. Auch das nachfolgende Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit des Norddeutschen Bundes vom 1. Juni 1870 mogelte sich um das nach wie vor bestehende Problem der Auswanderungen herum; im § 21 hieß es lediglich:

  Norddeutsche, welche das Bundesgebiet verlassen und sich zehn Jahre lang ununterbrochen im Auslande aufhalten, verlieren dadurch ihre Staatsangehörigkeit. (...) Der hiernach eingetretene Verlust der Staatsangehörigkeit erstreckt sich zugleich auf die Ehefrau und die unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder, soweit sie sich bei dem Ehemanne, beziehungsweise Vater befinden. (...)

Erst knapp dreißig Jahre später, 1897 (!), gab es ein reichseinheitliches Gesetz, mit dem erstmals die Auswanderungsfreiheit als Grundrecht festgeschrieben wurde.

Auch im Königreich Baiern, zu dem ja Ensheim als Teil der Rheinpfalz gehörte, wurde die erste Auswanderungsverordnung der bayerischen Regierung vom 17. Juni 1816 erst 1897 außer Kraft gesetzt. In dieser Verordnung war die Auswanderung grundsätzlich verboten worden, wobei der bayerische Staat aber von Anfang an das Ziel im Auge hatte, einen "kontrollierten Wegzug" der Auswanderungslustigen zu erreichen. Daß die Auswanderungswilligen handfeste Gründe für den Abzug aufweisen konnten, war selbst der rheinbayerischen Provinzregierung klar; in einer Denkschrift wurden die folgenden Gründe als besonders nachteilig hervorgehoben:

Mit dem "kontrollierten Wegzug" sollten vor allem der Staat und die Gemeinden vor verarmten und dann besonders unterstützungsbedürftigten Rückwanderern geschützt werden. Sigrid Faltin ist der Meinung, daß dieses Auswanderungsverbot aber nur auf dem Papier bestanden habe und die bayerischen Regierungen stets eine eher neutrale Haltung hinsichtlich der Auswanderung eingenommen hätten.

Interessanter- und paradoxerweise gab es trotz offiziellem Auswanderungsverbot eine staatliche Auswanderungsfürsorge: so wurden staatlicherseits

Ein schier unlösbares Problem für die bayerischen Regierungen war die hohe Zahl der heimlichen Auswanderungen, die ja sowohl dem offiziellen Auswanderungsverbot als auch dem angestrebten "kontrollierten Wegzug" widersprachen. Es gab bis 1870 mehrere Versuche Baierns, dieses Problem zusammen mit Preußen und anderen deutschen Ländern zu lösen - allerdings jeweils ohne den gewünschten Erfolg. Offenbar hat die bayerische Regierung mit jeder neuen Verordnung zur Regulierung der Auswanderung die auswanderungswilligen Staatsangehörigen eher verschreckt als sie ermutigt, ein Gesuch zur legalen Auswanderung einzureichen. Möglicherweise hatten auch die Ausreisewilligen, die ja meistens Analphabeten waren, ganz einfach nur Angst vor dem mit einem Auswanderungsantrag verbundenen Papierkrieg. Nicht ohne Grund, denn für ein Auswanderungsgesuch mußte eine Menge Papiere beigebracht werden (Faltin, 218 ff):

Außerdem durfte kein Gerichtsverfahren oder keine polizeiliche Untersuchung anhängig sein; das Auswanderungsgesuch mußte innerhalb von 8 Tagen nach der Antragstellung im Amtsblatt oder in der Lokalzeitung veröffentlicht werden; Beamte mußten ein Dienstentlassungszeugnis vorlegen; Stipendiaten ihr Stipendium zurückzahlen.

Die Auswanderungsgesuche mußten auf den Bürgermeisterämtern eingereicht werden. Für die Bearbeitung mußte man vier Wochen einrechnen. Seit 1826 wurde in der Rheinpfalz die offizielle Auswanderungserlaubnis nicht mehr durch die Kreisregierung in Speyer, sondern durch das betreffende Landkommissariat (für Ensheimer Auswanderer das LK Zweibrücken) erteilt. Laut Faltin, 198ff waren die Chancen auf Ausreisegenehmigung um so größer,

Laut Faltin, 225ff war "in der Praxis, wo die Behörden täglich mit heimlichen Auswanderungen konfrontiert wurden, (...) jedoch auf der Einhaltung all dieser Vorschriften (wie oben aufgeführt; PG) nur schwer zu bestehen. de facto war für die Erteilung der Auswanderungsgenehimigung vor allem das Gutachten der Gemeinde entscheidend, da die Bürgermeisterämter mit den persönlichen und örtlichen Verhältnissen (des Auswanderungswilligen; PG) am besten vertraut waren."

Nach der Aushändigung der Auswanderungserlaubnis mußte der Antragsteller (und ggf. seine Familie) innerhalb von sechs Wochen Bayern verlassen, sonst wurde die Erlaubnis ungültig. Daurch diese Frist standen die Auswanderer meist unter einem sehr starken Druck, ihre Habe schon vor der Erteilung der Abzugserlaubnis zu veräußern, um dafür einen möglichst akzeptablen Preis zu erzielen.

Nach 1854 war die Reise nach Amerika auch ohne vorherige Auswanderungserlaubnis möglich; allerdings mußte auch für eine solche Reise ein Paß ausgestellt werden, wofür die gleichen Bedingungen galten wie für die Erteilung der Abzugserlaubnis. Der Amerika-Reisende konnte dann vor Ort entscheiden, ob er die Auswanderungsurkunde nachträglich beantragt und im neuen Land bleibt oder ob er vielleicht wieder nach Bayern zurückkehrt. Diese Regelung hat sicherlich bei vielen Ausreisewilligen eine positive Resonanz gefunden: mit dieser Regelung konnte man sich erst im Zielland umsehen, bevor man eine endgültige Entscheidung über die Auswanderung traf.

Literatur:


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Last update: 01.11.2015                    © Paul Glass 1997 ff